Das wird als sog. „überdachende Besteuerung“ bezeichnet. Bei Wegzug in die Schweiz erlaubt diese Regelung im DBA den Zugriff des deutsche Fiskus auf Einkünfte aus deutschen Quellen (Einkünfte oder hier belegene Vermögenswerte) im Jahr des Wegzugs und in den folgenden fünf Kalenderjahren. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Wegzüger Schweizer Staatsbürger ist.
Das Finanzgericht Baden-Württemberg hat in einem aktuellen Klageverfahren die Frage zu entscheiden, ob im Streitfall zu Recht „überdachend“ besteuert werden durfte. Der Kläger, der die deutsche und tschechische Staatsangehörigkeit besitzt, hatte seine deutsche Wohnsitz endgültig aufgegeben und war in die Schweiz gezogen. Er war aber weiterhin in Deutschland als Geschäftsführer einer deutschen GmbH, die Tochtergesellschaft einer Schweiz Muttergesellschaft, tätig. Seine daraus bezogenen Vergütungen unterwarf er der sog. Grenzgängerbesteuerung als Grenzgänger aus der Schweiz ins Inland. Dementsprechend führte die deutsche Arbeitgeberin lediglich die Quellensteuer von 4,5% an den deutschen Fiskus ab. Im Übrigen versteuerte der Kläger seinen Arbeitslohn in der Schweiz.
Damit ist das deutsche Finanzamt aber nicht einverstanden. Es will im Streitjahr den gesamten Arbeitslohn nach den Regeln der „überdachenden“ Besteuerung“ voll im Inland versteuern und lediglich die in der Schweiz darauf gezahlte Steuer auf die deutsche Einkommensteuer anrechnen.
Mit seiner Rechtsauffassung bewegt sich das Finanzamt auf dem Boden der bisherigen Rechtsprechung. Das Finanzgericht Baden-Württemberg entschied noch im Mai 2011, dass die „überdachende Besteuerung nach Art. 4 Abs. 4 DBA-Schweiz der Grenzgängerregelung des Art. 15a Abs. 1 DBA-Schweiz vorgeht. Der Bundesfinanzhof schloss sich im Januar 2012 im nachfolgenden Revisionsverfahren noch der Entscheidung des Finanzgerichts an und wies die Revision als unbegründet zurück.
Das Finanzgericht Baden-Württemberg hat aber nunmehr Zweifel, ob die „überdachende Besteuerung“ auf der Grundlage der Vorschriften des deutschen Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA) mit der Schweiz mit Gemeinschaftsrecht vereinbar ist. Prüfungsmaßstab soll hier das Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit vom 21. Juni 1999 (sog. Freizügigkeitsabkommen) sein.
Das Finanzgericht Baden-Württemberg hat deshalb das Klageverfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union diese Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt.
Schweizer Grenzgängern nach Deutschland, die im Inland noch ihre hier bezogenen Einkünfte voll versteuern und die in der Schweiz gezahlte Steuer nur auf die deutsche Einkommensteuer anrechnen lassen, ist zu empfehlen, hiergegen Einspruch einzulegen bzw. bereits bestehende Rechtsbehelfsverfahren um diese Einwendung zu ergänzen. Bei schon bestandskräftigen Steuerbescheiden ist Änderung zu beantragen, sollte dies noch möglich sein, bzw. Einspruch gegen nachfolgende Änderungsbescheide einzulegen.
Finanzgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 19.12.2013 Az. 3 K 2654/11
Europäischer Gerichtshof, anhängiges Verfahren Az. C-241/14
Finanzgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 24.5.2011 Az. 11 K 2375/09
Bundesfinanzhof, Urteil vom 10.1.2012 Az. I R 49/11